laetare
Laudatio von Martin Preisser, St. Gallen, 21.10.2011
„Künstlerin zu sein heisst für mich, mich auf Begegnungen und Diskussionen mit Interessierten einzulassen. Man ist gefordert grosszügig zu sein und anderes Denken zu akzeptieren, aber trotzdem seinen eigenen Weg zu gehen“, sagt Heidi Lenz auf dem Flyer der LAETARE Künstler Gruppe. Besser könnte man die Grundidee von LAETARE wohl kaum beschreiben. Hier hängen und stehen Kunstwerke in drei Räumen nicht einfach nebeneinander, sondern bilden ein Miteinander, die Arbeiten sind völlig verschieden, gänzlich eigenständig und gehen doch stimmige wie überraschende Beziehungen ein. Ja vielleicht wird gerade im Miteinander der Hängung und Stellung, im offenen Austausch der unterschiedlichen Positionen das Individuelle auf ganz neue Art erst richtig sichtbar?
Wie sieht der normale Kunstbetrieb aus? Da leben sich Kunstschaffende doch oft auch recht stressbeladen gänzlich individualistisch aus. Der eigene Weg, die Sehnsucht nach dem Unverwechselbaren des eigenen Schaffens endet nicht selten in argwöhnischem Konkurrenzdenken, in der Abschottung im eigenen Kunstelfenbeinturm. LAETARE geht da seit genau zwanzig Jahren einen ganz anderen, vielleicht auch für andere gesellschaftliche Strukturen und Lebensbereiche zur Nachahmung empfohlene Wege. LAETARE präsentiert sich als Gruppe, mit viel Demokratie. Das Konkurrenzdenken habe gar abgenommen, wissen die, die schon zwanzig Jahre dabei sind. Eigenständigkeit und Verschiedenheit haben Platz, harmonisches Sicheinfügen in eine Gruppenidee auch. Gemeinsam statt einsam: Die LAETARE-Leute erkennen den Wert des Kollektiven in einer Kunstausstellung. Jeder kann seine Stärken einbringen, ohne dass alles auf den eigenen Schultern lasten muss. Eigenverantwortung ist gefragt, auch im Engagement für die gemeinsame Idee und nicht nur für die eigene Kunst. Mir hat ein äusserlicher Aspekt dieses Gemeinsamen und Demokratischen gefallen: Jeder und jede der hier im Greuterhof Islikon Ausstellenden, wo die LAETARE-Geschichte 1991 angefangen hat, hat die exakt gleiche Quadratmeterzahl an Ausstellungsfläche zur Verfügung.
Zehn Kunstpositionen nebeneinander oder, wie wir bereits festgestellt haben, miteinander in einer Ausstellung: Ist das nicht Beliebigkeit, ein einfaches Jekami von Kunst? Herkömmlich betrachtet könnte man es meinen, schaut man sich hier um, wird diese Befürchtung schnell ausgeräumt. Wenn sich zehn Kunstschaffende in einer Gruppe finden, wenn sie sich demokratisch gebärden, wenn die gemeinsamen Sitzungen nicht Pflichtübung, sondern inspirierender Austausch sind, dann kann auch eine gemeinsame Ausstellung, bei der niemand vorher weiss, was der andere einbringen wird, diesen selben Geist, diese verbindende Liebe zur Kunst, diese immer seltener werdende Philosophie des gemeinsam Handelns doch nur widerspiegeln.
Draussen sieht man das grosse Wasserrad des Greuterhofes. Es dreht sich beständig. Die LAETARE-Leute haben sich vom Wasserfall noch zu einer ganzen Reihe von anderen „Ein-Fällen“ als Mottos für ihre Jubiläumsausstellung anregen lassen. Ein Wortwasserrad ist entstanden. Esther Roths Bilder heissen Erleuchtung, Eingebung, Einsicht, Geistesblitz oder Inspiration. Die Künstlerin bringt das, was Kunstschaffende brauchen, was sie antreibt, bringt kreative Begriffe ins Bild.
Und in diesem ersten Raum zeigt sich das nebeneinander gehängte Miteinander der LAETARE-Gruppe vielleicht am schönsten: Esther Roth eher ruhig, feinsinnig und nachdenklich, Myrta Damiani märchenhaft verspielt, mit grossem Schwung und energiereich, und Cornelia Süper mit geheimnisvoll dichten, das Geistige betonende Welten.
So unterschiedlich diese drei Künstlerinnen sind, die „Konfrontation“ in einem Raum wird zu einem stimmigen Dreiklang. Wird er aber nicht ganz bewusst zusammengehalten durch die eleganten Bronzeskulpturen von Maja Wiesmann-Gautschi? „In sich horchen“ heisst eine Bronze-Figur dort. Und hier in diesem Hauptraum überrascht Maja Wiesmann-Gautschi plötzlich selbst mit Gegensätzlichstem: Ihre Fische-Installation thematisiert nicht nur ein globales Problem, sondern auch ein geistiges: Fischsterben – Sterben der Kreativität, aber auch die Hoffnung, dass sich das Kreative befreien könne.
Die warmen Äpfel-Studien von Mary Jetzer setzen dieser Installation eine grosse Ruhe ausstrahlende Kraft des Herbstlichen, des im Jahreszyklus Vollendeten gegenüber.
Wie schon die Bronzearbeiten von Maja Wiesmann-Gautschi bilden hier in der Mitte jetzt auch die stillen, unaufgeregten, auf ihre reine Formkraft reduzierten Arbeiten von Heidi Lenz einen spannenden Konstruktionspunkt. Diese Skulpturen (im Wasserradraum finden sich weitere) funktionieren hier fast als geheimnisvoller Raumteiler, der die Äpfelbilder erst so recht in den Kontrast setzt zu Reto Fenners illusorischem Spiel und seinen optischen Täuschungen, die auf diesen manchmal fast schalkhaft angelegten Sujets zu Reflexionen anregen, die über die rein spielerische Verfremdung etwa in der „Reissverschlussbahn“ hinausgehen.
Bei dieser LAETARE-Ausstellung lernt der Kunstfreund vielleicht wieder einmal, kritische oder mit Vorurteilen behaftete Stil-Diskussionen beiseite zu lassen. Was ist modern, was ist zeitgemäss? In diesen Räumen werden solche, nicht selten auch recht kopfige Fragen, hinfällig. Hier kann man sich einfach wieder einmal ganz verschiedenen Fantasiewelten hingeben, der Freude (das bedeutet LAETARE ja auch!) darüber, wie unterschiedlich Künstlerinnen und Künstler ihre und unsere Welt sehen. Eine bisweilen gewisse, im besten Sinne des Wortes, Unschuldigkeit des Zugangs – hier wird es zum harmonischen und irgendwie auch beruhigenden Prinzip.
Ein weiterer Kontrast: Die klaren Ecken und Kanten von Heidi Lenz gegen das Zerfliessende, Geistiges, Mystisches einfangen Wollendes nochmals von Cornelia Süper. Fast ein wenig einsam hängen ihre beeindruckenden Mysterien des Weiblichen. Sinnlichkeit und Spiritualität finden hier eine Synthese.
Darf man heute noch Landschaften malen? Solche Fragen werden in der modernen Kunstszene immer wieder gestellt. Sollte man solche Fragen überhaupt stellen oder nicht einfach das malen, was einen bewegt? Horst Pietrowsky beschenkt uns mit der Kunst des Kupferdrucks. Sein Bodenseebild mit Booten wirkt nostalgisch, dunkel, wie aus ferner Zeit und Erinnerung, und handwerklich fein und genau gearbeitet. Und irgendwie Landschaftsmalerei sind auch Martina Eisenrings Holzfundstücke, die sie fast wie ein kleines, kindliches Poesie-Tagebuch zu präsentieren scheint. Andreas Meier zeigt ebenfalls seine Faszination vom See. Deutlich an Adolf Dietrich die einen, unverkennbar an die Farbkraft van Goghs sich anlehnenden anderen Unterseebilder fügen sich drüben in einer Ecke stimmig zum steten Lauf des Wasserrades nebenan.
Die Ausstellung endet blutig! Jedenfalls deute ich das Rot auf dem Messer neben den beleuchteten Gehirnen von Maja Wiesmann-Gautschi so. Fast wie kleine "Erkenne Dich selbst"- Medaillons wirken die Bildchen, die um die Gehirne platziert sind. Sind die Gehirne beleuchtet oder erleuchtet? Dass es um diesen entscheidenden Schritt geht, kann uns oft auch Kunst zeigen.
Die zehn LAETARE-Positionen jedenfalls erleuchten eindrucksvolle und liebevolle, fantasievolle, leidenschaftsvolle und stimmungsvolle, lichtvolle und farbvolle Welten. Und vielleicht das Überraschendste an dieser Gruppenausstellung: Hier überdeckt niemand den anderen, hier protzt niemand über den anderen. Ganz unterschiedliche Töne haben hier eine stimmungsvolle Partitur ergeben, mit vielen harmonischen Passagen und angenehm stehenden Klängen, aber auch mit einigen raffinierten Akzenten. Warum eine Ausstellung stimmig wirkt? Ich habe soeben ein paar musikalische Bilder gewählt. Stimmig ist sie vielleicht, weil sie Ausdruck einer Gruppe von Menschen ist, die in der Kunst nicht nur strengste Selbstverwirklichung, jedenfalls kein übertriebenes Konkurrenzdenken suchen, sondern gerade im Miteinander sich der eigenen Kreativität auf ganz neue Art bewusst zu scheinen werden. Nochmals: LAETARE – auch ein Modell für andere Formen des Zusammenseins und Zusammenwirkens von Menschen? In diesem Sinne entlasse ich Sie jetzt in die Ausstellung und ermuntere Sie zu vielfältigen eigenen Fäden, die jeder einzelne zwischen den verschiedenen Arbeiten zu seinem ganz eigenen Kunsterlebnis-Netz spinnen kann.